Zinzendorf, durch eine pietistische Erziehung geprägt, fand zu einer intensiven und unmittelbaren Frömmigkeit, die zugleich mit ökumenischer Weite verbunden war. Während bei Luther die Rechtfertigung, allein aus Gnade Mittelpunkt des Glaubens und der Verkündigung blieb, kommt bei Zinzendorf ein neuer Impuls: "Das tat ich für dich, - was tust du für mich?": Dieser Satz unter einem Christusbild wurde zum Anstoß für sein seelsorgerliches, pädagogisches und missionarisches Wirken. So brachte Zinzendorf neue Anstöße für das Glaubensleben und die Gemeindebildung in die evangelische Christenheit. Sie bilden eine notwendige Ergänzung der lutherischen Reformation.
Durch die Aufnahme vertriebener Böhmischer Brüder auf Zinzendorfs Gut Berthelsdorf in der Lausitz und die Gründung der Siedlung Herrnhut kam es unter seiner Leitung zur Entstehung der Brüdergemeine. Sie wuchs zu einer selbständigen Kirchengemeinschaft heran und wurde zur ersten "Freikirche", blieb andererseits aber ökumenisch offen und den lutherischen Kirchen eng verbunden.
Zinzendorf war Europäer: Als Reichsgraf gehörte er zum Hochadel und lebte zeitweise in verschiedenen europäischen Hauptstädten: In Berlin, in Kopenhagen, in London. Jüdische Rabbiner und ein katholischer Kardinal gehörten zu seinen Freunden. Das Personal in der Hofhaltung des Reichsgrafen bildete zugleich die Hausgemeinde, in welcher Graf und Gräfin Bruder und Schwester unter Brüdern und Schwestern waren.
Die Missionare der Brüdergemeine wandten sich in verschiedenen Ländern an die "kleinen Leute" und kamen mehrfach mit den jeweiligen Machthabern in Konflikt. Auf einer karibischen Insel konnte der Reichsgraf durch einen persönlichen Besuch die Entlassung der Missionare aus dem Gefängnis bewirken, im Baltikum wurde er selbst vorübergehend ins Gefängnis gesteckt.
Zinzendorf war in seinem Denken und Fühlen einerseits ganz Kind seiner Zeit, zugleich aber im Leben und Denken seiner Zeit weit voraus.
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