Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten das fordert der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Er widerspricht damit dem alten politischen Grundsatz, dass man den Krieg vorbereiten müsse, wenn man den Frieden wolle. Wirksame Friedenspolitik beruht in der Gegenwart, so der Rat der EKD, auf dem Abbau von Gewalt, dem Ausbau der internationalen Rechtsordnung und der Förderung weltweiter sozialer Gerechtigkeit. Der Dreiklang von Frieden, Recht und Gerechtigkeit wird in der Kurzformel vom "gerechten Frieden" zusammengefasst.
Wie muss unter den gegenwärtigen politischen Bedingungen und zumal nach den Ereignissen des 11. September 2001 das Eintreten für den Frieden aus evangelischer Perspektive aussehen? Vor diesem Hintergrund hatte der Rat der EKD im Jahr 2004 einen entsprechenden Auftrag an die Kammer für Öffentliche Verantwortung erteilt. Der Rat nahm die Ausarbeitung der Kammer, die ihm im Herbst dieses Jahres vorgelegt wurde, einstimmig an und gab sie zur Veröffentlichung frei. Am Mittwoch, 24. Oktober stellten der Vorsitzende des Rates der EKD, Bischof Wolfgang Huber, und der Vorsitzende der Kammer für Öffentliche Verantwortung, Professor Wilfried Härle, in Berlin die Denkschrift vor. Ihr Titel "Aus Gottes Frieden leben für gerechten Frieden sorgen" macht das christliche Selbstverständnis deutlich, dass, wer aus dem Frieden Gottes lebt, für einen gerechten Frieden in der Welt eintreten wird.
Die Denkschrift gliedert sich nach einer Einleitung in vier Teile. Der 1. Teil ("Friedensgefährdungen") analysiert die Ursachen, die derzeit zu einer Gefährdung des politischen Friedens beitragen; neben den sozioökonomischen Problemen werden dabei insbesondere der Zerfall politischer Gemeinschaften ("Staatsversagen"), die Schwächung des Multilateralismus und kulturelle bzw. religiöse Faktoren behandelt. Der 2. Teil wendet sich dem "Friedensbeitrag der Christen und der Kirche" zu: wie sie, aus Gottes Frieden lebend, diesen Frieden bezeugen, für den Frieden bilden, die Gewissen schützen, für Frieden und Versöhnung arbeiten und vom gerechten Frieden her denken. Der 3. Teil ("Gerechter Friede durch Recht") beschreibt die Anforderungen an eine globale Friedensordnung als Rechtsordnung und die Grenzen rechtserhaltenden Gebrauchs militärischer Gewalt. Der 4. Teil schließlich skizziert die "politischen Friedensaufgaben": Die universalen Institutionen müssen gestärkt werden, Europa muss seine Friedensverantwortung wahrnehmen, und es ist notwendig, die Waffenpotenziale abzubauen, hingegen die zivile Konfliktbearbeitung auszubauen.
Klare Leitgedanken verbinden sich in der Denkschrift mit konkreten Handlungsoptionen. So ist etwa mit einer rechtsverbindlichen, internationalen Friedensordnung der Anspruch verknüpft, dass diese Rechtsordnung dem Vorrang ziviler Konfliktbearbeitung verpflichtet ist. Außerdem bindet sie die Anwendung von Zwangsmitteln an strenge ethische und völkerrechtliche Kriterien. Auch die Herausforderung durch den modernen internationalen Terrorismus rechtfertigt keine Wiederbelebung der Lehre vom "gerechten Krieg". Vielmehr bewährt sich gerade in einer solchen Situation die Ausrichtung aller friedenspolitischen Überlegungen an der Leitidee des "gerechten Friedens".
In der neuen Denkschrift wird die Auffassung vertreten, die Drohung mit dem Einsatz nuklearer Waffen sei in der Gegenwart friedensethisch nicht mehr zu rechtfertigen. Doch konnte die Kammer über die friedenspolitischen Folgerungen aus dieser Aussage keine volle Übereinstimmung erzielen.
Der Rat der EKD würdigt die friedenspolitische Rolle Europas und der Europäischen Union (EU). Zugleich warnt er ausdrücklich vor einer Ausweitung der Auslandseinsätze der Bundeswehr. Der Prozess der "Transformation" der bundesdeutschen Streitkräfte in eine Armee im Einsatz wird kritisch betrachtet. Der "Schutz Deutschlands und seiner Bürgerinnen und Bürger" ist eine Aufgabe, die vor allem politisch wahrgenommen werden muss.
Durchgängig hebt die Denkschrift die Notwendigkeit der Prävention hervor; sie erkennt gewaltfreien Methoden der Konfliktbearbeitung einen Vorrang zu; sie betont die wichtige Rolle der zivilen Friedens-, Freiwilligen- und Entwicklungsdienste für die Bewahrung und Förderung eines nachhaltigen Friedens. Mit dieser Grundorientierung bringt die Evangelische Kirche in Deutschland ihre Stimme in die politische und in die ökumenische Diskussion ein. Sie versteht ihre Denkschrift auch als einen Beitrag zu der vom Ökumenischen Rat der Kirchen ausgerufenen Dekade zur Überwindung von Gewalt (2001-2010).