Jugendarbeit war traditionell in der Freizeit angesiedelt - nach der Arbeit oder nach der Schule traf man sich mit Gleichaltrigen.
Als vor etwa 40 Jahren Jugendarbeit auch zu einem professionellen Aufgabengebiet wurde, gab es noch kein klares "Anforderungsprofil" für Jugendarbeiter. Sie wurden ausgebildet in "außerschulischer Jugendarbeit". Das sollte signalisieren: Junge Leute müssen in die Schule und werden dort von Pädagogen "geschult", aber nur in der Jugendarbeit können sie weitgehend freiwillig und selbstbestimmt agieren. Die Schüler- und Studentenbewegung der Jahre 1968 - 1970 hat diese Abgrenzung noch verschärft: Schule galt als Ort der Dressur, der Repression, nur außerhalb der Schule konnten die "Bedürfnisse" der jungen Leute zum Tragen kommen. Eine Pädagogik der außerschulischen Jugendarbeit musste deshalb die Kriterien Freiwilligkeit, Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und Partnerschaftlichkeit fördern.
Inzwischen hat sich die Situation verändert. Die außerschulische Jugendarbeit und ihre professionelle Ausbildung haben sich etabliert; Sozialpädagogen müssen nicht mehr in verkrampfter Abgrenzung gegenüber der Schulpädagogik um ihre Daseinsberechtigung kämpfen und können anerkennen, dass auch Lehrerinnen und Lehrer - allerdings immer unter den Rahmenbedingungen der Schule und der Lehrpläne - sinnvolle pädagogische Arbeit leisten.
Aber noch wichtiger ist die Veränderung, die sich für junge Leute ergeben hat. Im Jahr 1963 waren nur 6 % der 18-jährigen noch in der Schule; 94 % waren berufstätig, das heißt sie hatten ihre 3-jährige Berufsausbildung bereits abgeschlossen, sie hatten "ausgelernt", ein Begriff, der uns heute mittelalterlich anmutet. Heute gibt es keinen 18-jährigen mehr mit abgeschlossener Berufsausbildung. Jugendliche sind heute ohne Ausnahme Schüler. Die Dauer der Schulzeit und die Bedeutung der Schule haben zugenommen. Und die Schulen entwickelten sich zu Mittelpunktschulen - das heißt weg vom Wohnort - und die Tendenz geht zu Ganztagsbetreuung oder Ganztagsschulen.
Die Schule nimmt immer mehr Zeit und Raum in Anspruch; sie wird mehr und mehr zum zentralen Lebensraum der jungen Menschen und eine Jugendarbeit, die das Umfeld der Jugendlichen ernst nehmen und in ihrer Arbeit aufgreifen will, muss deshalb die Schule stärker in den Blick nehmen.
Landesschülerpfarrer Lothar Jung-Hankel führte uns am Samstag-Nachmittag in Hohensolms anschaulich und kompetent in die Überlegungen unserer Kirche zum Thema "Jugendarbeit und Schule" ein. In einer gelungenen Mischung aus Referat, Erzählen und Eingehen auf Fragen führte er uns eindrücklich vor Augen, dass diese Veränderung des Schüler-Seins Kernpunkt der Überlegungen der Kirche ist, wie sich ihre Jugendarbeit entwickeln soll. Schulbezogene Arbeit ist als aufsuchende Kinder- und Jugendarbeit konzipiert; sie geht dahin, wo Jugendliche zunehmend ihren Lebensschwerpunkt haben. Schulbezogene Jugendarbeit ist "am Puls der Zeit". Um der Kinder und Jugendlichen willen ist es wichtig und richtig, nach Wegen zu suchen, um ihnen in Zeiten rascher Umbrüche und Übergänge Unterstützung anzubieten.
Je nach den örtlichen Gegebenheiten ergeben sich dafür unterschiedliche Arbeitsansätze: In Alsfeld hat man mit einem zentralen, schulnahen Angebot gute Erfahrungen gemacht: Ein offenes Jugendhaus liegt mitten im Stadtzentrum und zugleich nahe an verschiedenen Schulen. Es wurde gezielt zur Zentrale einer schulbezogenen Arbeit ausgebaut. Mittlerweile werden dort fast 50 % der etwa 8000 Schülerinnen und Schüler der umliegenden Schulen durch Angebote erreicht. Durch Kooperationsverträge der Kirche mit Schulen und anderen Einrichtungen ist es dort gelungen, ein tragfähiges Netzwerk der Kinder- und Jugendarbeit zu installieren. Der Schwerpunkt der Angebote liegt im Bereich des sozialen Lernens und der Stärkung der Ressourcen der Schülerinnen und Schüler. Dies geschieht zum einen bewusst als sozialdiakonischer Dienst, zum anderen werden u. a. durch Angebote für Konfirmationsgruppen und Religionsklassen spezifisch christliche Inhalte und Haltungen vermittelt. Neben beruflichen Jugendarbeitern sind etwa 50 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Arbeit tätig.
In anderen Regionen sind Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen im gemeindepädagogischen Dienst - zum Teil mit Stellenanteilen - direkt in Schulen tätig und bieten dort Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche an, zum Beispiel Lesenachmittage, Kinderbibelwochen, Ferienangebote und erlebnispädagogische Projekte. Daneben sind sie Ansprechpartner in Krisensituationen. Ziel der schulbezogenen evangelischen Kinder- und Jugendarbeit ist es, mit ihrer subjektorientierten Bildungsarbeit einen wesentlichen Beitrag zum Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen zu leisten. Ihr Bildungskonzept überschreitet den schulischen Unterricht.
Durch alle Formen der schulbezogenen Arbeit wird ein niedrigschwelliger Kontakt zu den Kindern und Jugendlichen hergestellt und sie können dadurch auch für andere kirchlich religiöse Angebote angesprochen werden. Die Vernetzung von Schule, Kirchengemeinde und Wohnort zugunsten der Jugendlichen ist ein wichtiges Ziel. Für viele junge Leute ist die Schule zum einzigen Ort der Auseinandersetzung mit dem Glauben, mit Kirche und Religion geworden.
Lothar Jung-Hankel sieht in Formen der schulnahen Jugendarbeit viele neuen Möglichkeiten; aber es hänge in jedem einzelnen Fall von den räumlichen und personellen Konstellationen ab, ob und wie sich die Kirche und ihre Jugendarbeit in eine Kooperation mit Schulen einbringen könne.
Gerd Schenk